Auf der Master-Stufe an der Universität St.Gallen findet eine theoretisch und praktisch vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ausgewählten Themenbereichen der jeweiligen Fachprogramme statt.
Im Herbstsemester 2014 finden folgende Veranstaltungen statt:
Mark Terkessidis: Kollaboration – neue Formen der Zusammenarbeit
Die Diversifizierung der Gesellschaft in kultureller und religiöser Sicht sowie die zunehmenden Ansprüche der Bürger auf Mitbestimmung lassen die herkömmlichen Verfahren der repräsentativen Demokratie unzureichend erscheinen – in den letzten Jahren ist viel über die „Krise der Repräsentation“ gesprochen worden. Gleichzeitig sind vielfältige Formen der Selbstorganisation und Zusammenarbeit zu beobachten, und das quer durch sämtliche Bereiche der Gesellschaft: Beispiele sind etwa von der Belegschaft betriebene insolvente Firmen; der kollektiv organisierte Erhalt von ehemals öffentlichen Einrichtungen; „runde Tische“ zu verschiedenen Themen der politischen Agenda; oder auch die zahlreich kollektiv betriebenen Kultur‑ und Kunstprojekte. Diese neuen kollaborativen Formen entsprechen den Prozessen, die auch für die Netzgemeinde beschrieben
worden sind oder auch für die „flache“ Organisationskultur großer Unternehmen. Auch Ideen bzw. Innovationen – das ist in jüngster Zeit festgestellt worden ‑ entstehen trotz der individuellen Zuschreibung weniger als Leistung von genialischen Einzelnen, sondern als kollaborative Leistungen.
Tatsächlich ist eine vielheitliche Gesellschaft mündiger Bürger auf ein „Ethos der Kollaboration“ angewiesen. Die Frage ist, welche Vorrausetzungen dieses Ethos in theoretischer Hinsicht hat, und wie es sich konkret im Stadtraum niederschlägt. Dabei sollte auch deutlich werden, dass Kollaboration keineswegs eine romantische aufgeladene Wertorientierung darstellt, sondern oftmals aus handfesten wirtschaftlichen Schwierigkeiten oder Interessen hervorgeht. Das Thema Partizipation ist in der Stadtplanung auch aufgekommen, als die Städte aufgrund ihrer maroden Finanzsituation auf die zunehmende Mitwirkung der Bürger angewiesen waren. Die Entstehung von heute sehr erfolgreichen diasporischen Wirtschaftsnetzwerken von ArbeitsmigrantInnen waren teilweise die direkte Folge von Entlassungen aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung aufgrund von konjunkturellen Schwankungen. Und globale Unternehmen organisieren die Arbeit deswegen in Teams, weil die kreative Atmosphäre Erneuerung befördert.
Der Kurs nimmt die folgenden zwei Ebenen in den Blick: die Sichtung grundlegender Literatur ebenso wie Erkundungen im Stadtraum von St Gallen, um dort Beispielen für Kollaboration nachzugehen. Lernziele sind die Sensibilisierung für Kollaboration, die Erkenntnis der Vor‑ und auch Nachteile kollaborativer Verfahren sowie Verständnis für deren Funktionsweise. Da die Arbeitskultur bei großen Unternehmen sich in den letzten Jahrzehnten wie erwähnt im Hinblick auf Eigenverantwortung, Teamwork und Kommunikation mit der Bevölkerung verändert hat, stellt der Kurs einen relevanten Teil von Handlungskompetenz für das ökonomisch ausgerichtete berufliche Feld bereit.
Gabriele Dietze: Kritik des Ethnozentrismus: Die Konstruktion des westlichen Selbst
Seit Mitte letzten Jahrhunderts haben sich alle europäischen Nationen in Einwanderungsländer gewandelt und diversifiziert. Der Existenz von ‚Anderen‘ wird häufig mit einer Betonung von autochthoner Besonderheiten begegnet. Dabei wird zweierlei selten gesehen: 1. dass dieses ‚Eigene‘ oft im Nachhinein am ‚Anderen‘ konstruiert wird und 2. dass diese Konstruktionen diskriminierende Auswirkungen auf Einwanderer und insbesondere auf muslimische Migrantinnen und Migranten haben.
‚Orientalisierung‘ von ‚Anderen‘ und ‚Ausländerdiskurse‘ beeinträchtigen nicht nur das Klima von Nationen im Inneren, sondern auch die Offenheit nach außen. Das Seminar konzentriert sich auf solche Prozesse in Deutschland und der Schweiz. Ein Schwerpunkt wird dabei auf Geschlechterpolitik liegen, da angenommene Frauenunterdrückung und ‚Patriarchate‘ bei den ‚Anderen‘ als Nachweis okzidentaler Überlegenheit und Emanzipation der ‚eigenen‘ Gesellschaft gilt. Ein solcher westlicher Ethnozentrismus wird im Kurs anhand von kritischen Konzepten und konkretem Material analysiert: Neben Texten aus der postkolonialen Theorie und transnationalen Gender Studies werden gesellschaftliche Manifestationen wie Wahlkampagnen, Politikerreden, Mediendiskurse (Print, TV und Kino) sowie visuelle Erzeugnisse (Werbung, antirassistische Kampagnen, Wahlplakate, Artefakte aus der Bildenden Kunst) betrachtet werden. Das Seminar will dazu beitragen, gegenwärtige Konstruktionen des ‚Selbst‘ am ‚Anderen‘ im öffentlichen Diskurs bewusst zu machen und ein paar Anregungen zu einer ‚Dezentrierung‘ des europäischen Selbst zu geben.
Gudrun Sander / Christa Binswanger: Eine Managementaufgabe oder Privatsache? Care, Arbeitsmarkt und Geschlecht
Werden heute junge Männer und Frauen nach ihren Zukunftsplänen gefragt, schliesst die grosse Mehrheit Familiengründung mit Kindern in diese Pläne mit ein. Dies gilt auch für Studierende an der HSG. Wir stellen in diesem Master‑Kurs die Frage, ob Arbeitsmarkt‑Chancen bei Familien‑ und Kinderwunsch heute für beide Geschlechter gleich sind. Beim Blick auf die innerfamiliäre Arbeitsaufteilung zeigt sich nach wie vor, dass grosse Geschlechter‑Differenzen bestehen. Diese manifestieren sich nicht erst, wenn junge Menschen Eltern werden, sondern unterschiedliche Zukunftsvorstellungen und damit zusammenhängende Entscheidungen setzen schon viel früher ein. So wählen junge Männer ihren Beruf nach wie vor nach der Frage, ob sie damit eine Familie ernähren können (Ernährerbild), während junge Frauen ihre Berufe vor allem unter der Vereinbarkeitsperspektive wählen. Nur gerade 1 % der jungen Menschen wählt geschlechteruntypisch (vgl. Maihofer‑Projekt im NFP 60). Die geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen verharren hartnäckig, auch wenn die gelebte Praxis später durchaus Variationen zeigt. Wir stellen deshalb Fragen nach dem Zusammenwirken unterschiedlicher Rationalitäten von Unternehmen/Arbeitsmarkt, Familiensystemen und der politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die oft zu Friktionen in der Vereinbarkeitsgestaltung für Mütter und Väter führt. Zentrale Fragen sind: ‑ ‑ Wie ist das heutige Verständnis von Mutter‑ und Vaterrolle historisch entstanden? ‑ ‑ Wie kommt es, dass Mütterlichkeit so eng an Care geknüpft wird? Welche Rollenerwartungen werden sich zukünftig an Väter und Mütter, Männer und Frauen ergeben? ‑ ‑ Wie werden wir zukünftig leben und arbeiten? ‑ ‑ Wie und wohin verschieben sich bezahlte und unbezahlte Care‑Arbeit im Falle einer Berufstätigkeit von Mutter und Vater? ‑ ‑ Wie könnte der Betreuungsbedarf gedeckt und finanziert und welche grundlegenden Verständnisse und Rationalitäten müssen folglich geändert werden? ‑ ‑ Welche Veränderungen können Unternehmen befördern, wo ist die Politik gefordert? Wo sind die Grenzen der Wahlfreiheit von Familien?
Lernziele und berufspraktische Kompetenzen: ‑ Sensibilisierung für die Komplexität der Zusammenhänge von Berufstätigkeit, Elternschaft und Geschlechterdifferenz ‑ Erarbeitung der Zusammenhänge von Institutionenpolitik, Arbeitsmarkt, Bildung, Soziale Sicherheit mit Blick auf die Vereinbarkeitsthematik ‑ Entwicklung eines theoretisches Verständnis von Care und Care‑Arbeiten ‑ Ausbildung von Selbstkompetenz durch die Reflexion eigener Bilder und Vorstellungen zum Thema ‑ Entwicklung von Empfehlungen an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wie auch an zukünftige Akteure und Akteurinnen in diesen Feldern.
Frank Luck / Christa Binswanger: Men's Health. Gesundheit und Geschlecht
Die Gesundheit von Männern ist heute ein gesellschaftlich relevantes und viel diskutiertes Thema. Im Zusammenhang mit der beruflichen Praxis von Männern werden im Kurs Bezüge zwischen der Arbeitswelt und der physischen/psychischen Gesundheit beleuchtet sowie reflektiert, welche Konsequenzen sich aus der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit für Männer ergeben. So wird männliches Gesundheitshandeln als in soziale und berufliche Strukturen, Geschlechterverhältnisse und familiale Strukturen eingebettet verstanden und werden Männlichkeit(en) auch in ihrem Verhältnis zu Weiblichkeit(en) analysiert.
Lernziele:
• Die Studierenden verfügen über Wissen zum Themenfeld „Körper, Gesundheit(shandeln) und Männlichkeit(en)“ auf der Grundlage epidemiologischer Daten.
• Den Studierenden wird analytisches Denken vermittelt, das ermöglicht, geschlechterstereotype Sichtweisen im Themenfeld Männer und Arbeitswelt zu erkennen und diese kritisch zu reflektieren.
• Die Studierenden sind fähig, wichtige Theorien und Konzepte aus der Männlichkeitsforschung mit dem Thema Körperbilder und Gesundheit(shandeln) von Männern zu kontextualisieren.
• Der Selbstbezug auf eigenes Gesundheitshandeln ermöglicht, das im Kurs erarbeitete Wissen als eine Stärkung persönlicher Handlungs‑ und Entscheidungskompetenzen im Hinblick auf eine berufliche Praxis zu nutzen.
• Die Fallbeispiele aus Führungsperspektive und die daraus abgeleiteten Handlungsoptionen ermöglichen, Männergesundheit aus betrieblicher Perspektive in situative Handlungs‑ und Entscheidungsfindungsprozesse zu integrieren.
Inés García de la Puente: Rebellion and Compromise: Women Represent Themselves in TransCultural Literatures
ʺRebellion and Compromise: Women Represent Themselves in Trans‑Cultural Literaturesʺ explores the image of women as protagonists and creators of so‑called immigrant/ethnic culture in the United States. How is the migrant experience represented in the works of female authors? How do feminine characters evolve in fictional and autobiographical narratives? Does gender determine the process of adaptation into the North American environment? How is identity (re‑)construction affected by language and cultural shift?
Trans‑culturalism presumes the ability to navigate two cultures, and it is often linked to bilingualism. Most works under analysis will reflect on how women from different backgrounds – national, linguistic, social – react to the ʺin‑betweennessʺ in which they live. They often find themselves having to choose or combine ethnic definitions, living in two languages, juggling cultural codes. From submission to rebellion, and sometimes through compromise, the heroines of the short stories and movies that we will study find or are forced to find ways of establishing their identity as women in contemporary North America. Many of the works to be treated are autobiographical: the authors write about situations and create plots that are closely related to their own vital experience. This will give us the opportunity to closely examine how women migrant authors represent themselves in their works.
To sum up, the goals of this course are:
• to learn about the experience of immigrant women in the United States through the literary input of female authors who are first‑ or second‑generation Americans;
• to learn about feminine self‑representation in literature, cinema and music;
• to learn about the literature and culture of minorities (Hispanic‑, Asian‑, Jewish‑, Polish‑ and Russian‑American).